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ÜBER DAS TRAUERN

Trauer ist das, was Du spürst, wenn etwas stirbt.
Es ist das, was Du empfindest, wenn Du jemanden verlierst.
Das kann ein geliebter Mensch sein, eine Beziehung oder ein Job.
Vielleicht auch eine Lebensphase, die endet.
Eine Ehe, die vorbei ist.
Die Welt, wie wir sie kannten.
Die Welt vor Covid.

Gerade erleben wir einen kollektiven Verlust.
Die Welt, wie sie war, gibt’s so nicht mehr.
Kein intuitives Umarmen, kein bedenkenloses Anfassen, nicht schnell mal nach New York.
Keine unbeschwerten Parties, keine Arenakonzerte, keine Buchmessen.
Alles im Umbruch, nicht ganz klar, wo’s hin geht.
„Wisst ihr noch, wie’s damals war?“, werden wir bald sagen.
Und dabei wehmütig zurückschaun.

Wie wir den Verlust erleben, ist sehr individuell.
Für Kids mag der schlimmste Verlust der verpasste Schulunterricht mit Freunden sein.
Für Teens und Twens ist es, ihre wilden Jahre nur eingeschränkt erleben zu dürfen.
Für die Älteren ist der schlimmste Verlust vielleicht, ihre Angehörigen nicht regelmäßig zu sehen.
Für Dich, die Du gerade ein Elternteil verloren hast, ist das Dein schlimmster Verlust.
Der schlimmste Verlust ist immer Deiner!
Soviel steht fest.

Daher lasst uns nicht bewerten, wessen Verlust schlimmer ist!
Lasst uns nicht beurteilen, wie man zu trauern hat!
Das treibt einen Keil zwischen uns,
macht es schwerer als es eh schon ist.
Du trauerst anders als ich.
Er trauert anders als sie.
Selbst um die gleiche Person oder Sache.

Was immer Du beim Trauern fühlst, ist das, was Du fühlst.
Starre. Paralyse. Schock. Schwere.
Traurigkeit. Wut. Enttäuschung.
Unverständnis. Ungerechtigkeit.
Erleichterung. Erlösung.
Schuld. Scham.
Nichts.
Alles ist erlaubt.

Sehr wahrscheinlich durchläufst Du beim Trauern diese 5 Phasen:
Leugnen. Wut. Verhandeln. Depression. Akzeptanz.
Nicht linear. Vielleicht aber doch.
Gleichzeitig. Vielleicht auch nicht.
Stell’s Dir vor wie ein Gerüst,
in dem es hin und her gehen kann.
Es ist ein Rahmen ohne Regeln,
ohne Anleitung „so geht’s“.
Nur tröstlich zu wissen, dass es allen so geht.
Du bist nicht allein, in dem was Du fühlst,
und kannst besser benennen, was mit Dir passiert.

Laut D. Kessler ist nach Akzeptanz nicht Schluss.
Kein harter Cut und weiter geht’s.
Auch wenn das Umfeld einen das vielleicht glauben lässt,
akzeptieren und abhaken funktioniert so nicht.
Du willst einen Sinn sehen in Deinem Verlust,
Bedeutung finden, sagt er.
Eine 6. Phase durchlaufen,
„Finding meaning“, schreibt er.

Um was gehts beim „Sinn finden“ im Verlust?
Nicht darum, einen Sinn im Tod zu sehen,
auch nicht um Dankbarkeit dafür. Nein.
Es geht darum, für sich selbst zu spüren,
wer kann ich sein, der ich bisher nicht sein konnte?
Was kann ich tun, was ich bisher nicht tun konnte,
als die verlorene Zeit oder Person noch hier war?
Was wird mir hier als Chance gegeben?
Wie kann mein Leben jetzt sein?
Was mach ich draus?

Es scheint drum zu gehen, den Blick zu erweitern,
peripher zu sehen, ’ne neue Perspektive zu finden.
Eine, die Dir hilft, bestmöglich weiterzuleben.
Eine, die Dir hilft dankbar zu sein.
Für das, was war.
Für das, was die Person in Dein Leben gebracht hat.
Für das, was Du in dieser Zeit erleben durftest.
Für die, die Du dadurch geworden bist.
Denn sie ist nun ein Teil von Dir.
Du gehst zwar alleine weiter, aber mit ihr in Dir.

Lange habe ich überlegt, was ich jetzt schreibe.
Was hätte mir damals beim Verlieren meiner Mutter geholfen?
Was beim Verlust? Was beim Trauern?

Was mir geholfen hätte …

Die Erkenntnis, dass meine Trauer schon bei der Diagnose begann.
Mein Leben danach war ein anderes. Das alte GONE.
Die Erkenntnis, dass das, was nach der Diagnose kam auch Trauer war.
Meine Mutter war nicht mehr meine Mutter, und ich kein Kind.
Meine Mutter war nicht mehr meine Freundin, und ich sehr einsam.
Die Erkenntnis, dass meine Wut, die Traurigkeit, meine Schwere,
die Akzeptanz meiner neuen Rolle Teil der Trauer war. Und ganz normal.
Statt anzuerkennen „So, ists!“, hab ich’s ignoriert,
und „alles unter Kontrolle!“ sagend ein Lächeln aufgesetzt,

Was mir geholfen hätte …

Wenn mehr Leute sich getraut hätten, mich zu fragen, wie’s mir geht.
Wenn mehr Menschen aus dem Alltag gesagt hätten, „lass uns ein Bier trinken gehen und erzähl mir, wie’s Dir geht, was Du im Krankenhaus erlebst und was das mit Dir macht.“
Doch aus Angst das Falsche zu sagen, haben die Meisten einfach nix gesagt.
Dabei ist es ganz einfach. Frag „Wie geht’s Dir?“ und hör einfach zu.

Was mir geholfen hätte …

Nach dem Tod nicht zu hören, jetzt wird’s langsam Zeit, die Trauer abzulegen,
weiterzumachen, die Bilder abzuhängen.
Sondern lieber, „nimm Dir Zeit, trauer so lang wie’s Du’s brauchst. Ich bin hier, wenn Du mal reden willst.“

Was mir geholfen hätten …

Mehr über den Tod zu wissen. Über das Sterben.
Was erleben Sterbende?
Was fühlen sie? Was denken sie?
Was sind ihre Bedürfnisse am Ende ihrer Lebensreise?
Und was erwartet mich als Angehörige?
Was wird passieren?
Wie kann ich unterstützen?

Aus heutiger Sicht versteh ich nicht so richtig, warum ich mich damals nicht näher damit auseinandergesetzt habe.
Aus heutiger Sicht, hätte ich sie gerne noch mehr Dinge gefragt, um ihr zu helfen, loszulassen, Abschied zu nehmen, die Dinge zu ordnen, in Ruhe zu gehen.
Die Dinge aus ihrem Leben zu verarbeiten, die noch nicht abgeschlossen sind.
Das loszuwerden, was sie noch schwer gemacht hat.
Mit ihr sich befreien, sich feiern, sich anerkennen.

Thomas Mache erzählt im Podcast „Endlich. Wir sprechen über den Tod.“ von einer schönen Idee.
Er erzählt von einer Frau, die Gespräche mit Sterbenden über ihr Leben geführt hat, diese dann aufgenommen und eine Geschichte daraus gemacht hat.
Dann hat sie den Menschen ihre Geschichte vorgelesen.
Und Ihnen damit die Anerkennung gegeben, dass ihr Leben mit all den Höhen und Tiefen, mit all den Brüchen und bedeutsamen Momenten jetzt „full circle“ ist.
Ganz, vollständig, complete. Ich kann jetzt gehen.
Wie schön. Das hätte ich aus heutiger Sicht damals gern für sie und für mich gemacht.

Was mir sehr geholfen hat …

War das Bewusstsein darüber, dass ich viele bedeutsame Momente mit meiner Mama hatte, vor der Diagnose und danach.

Wir waren in New York, in London, in Florenz.
Wir waren bei Robbie Williams und Lenny Kravitz.
Wir waren teuer essen, haben Wellness gemacht.
Wir waren ausgiebig shoppen, haben über das Schulsystem diskutiert.
Wir waren am Gardasee Rotweintrinken, und im Biergarten ums Eck Biertrinken.
Wir waren im Krankenhausbett zusammen Grazia gelesen.
Und auf der Palliativstation den Adventsliedern einer Harfenspielerin zugehört.
Ich war an ihrer Seite, bis zum letzten Atemzug.

Was bleibt sind die bedeutsamen Momente.
Und … trotz allem ein gebrochenes Herz.

In meinem Text „Hearts stay broken“ schreibe ich darüber.
https://blog.rebel-coaching.net/2020/12/07/hearts-stay-broken/

Was hat das jetzt eigentlich mit Mut zu tun?
Was am Sterben, am Trauern ist mutig?

Melanie Greenberg schreibt in einem Artikel, dass es eine Facette von Mut ist, dem Leid mit Würde zu begegnen. Schicksalsschläge wie Krankheit annehmen, das Beste daraus machen und andere in ihrem Leid begleiten.

Oder in Victor Frankls Worten:
“There is no need to be ashamed of tears, for tears bear witness that a man has the greatest of courage, the courage to suffer.” —Viktor Frankl

Literatur

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