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IN THIS TOGETHER


Prioritäten

„Morgen, da passt’s mir nicht“, sagt sie,
„ne, übermorgen, da geht’s auch nicht“, meint sie,
„nächste Woche, ja, da geht’s, aber nur da“, sagt sie,
„Mm, da kann ich nicht“, sagt die Andre, „ich könnt aber da“,
„hier geht‘s bei mir nicht“, sagt er, „wie wär’s stattdessen dann?“,
„Da kann ich nicht“, „ne, ich auch nicht“, beide zusamm’n,
„ne, da bin ich zu müde, da will ich lieber das“,
„da will ich nicht umplanen, da mach ich immer das“,
alle wollen, aber irgendwie doch nicht,
andre Prioritäten, das Wir nicht in Sicht,
keine:r gibt nach, keine:r stellt das Wir über’s Ich,
„warum bist Du nicht flexibler, wieso sollte ich?“
Schleichend zerbröckelt, was mal in Stein gemeißelt war,
die Zeit wird es zeigen, ist das reparierbar?

Everything’s not lost

„Was ist nur los mit Euch?“, fragt der chinesische Taxifahrer,
als er Bilder von feiernden Europäer:innen sieht,
„ist ein Menschenleben bei Euch nichts wert?“, fragt er,
und schüttelt ungläubig den Kopf.

„Hat die Gesellschaft vergessen, dass Leben heilig ist?“, fragt die Krankenpflegerin,
und sieht dabei erschöpft aus von ihren unermüdlichen Einsatz.
„Warum ist keiner mehr vorsichtig?“, „wieso schwindet täglich der Zusammenhalt?“,
„Warum glauben die Leute nicht mehr dran, dass wir zusammen besser durch harte Zeiten komm’n?“

Sie ist enttäuscht, dass die Leute sie ängstlich meiden,
fühlt sich allein, weil keiner fragt, wie’s ihr geht,
ist bedrückt von all dem Leid, das sie täglich umgibt,
erträgt die Umstände nicht, unter denen Menschen ständig sterben.

„Sie sterben jetzt anders, weniger vorhersehbar als früher,
oft allein, ohne Beistand, ganz plötzlich und einsam,
keine Chance mehr Abschied zu nehmen, letzte Worte zu teilen,
die Dinge zu regeln, in Ruhe zu gehn.“

Doch das, was sie erlebt, ist den Andern zu viel,
zu viel Elend, zu viel Sterben, zu viel Trostlosigkeit,
das ertragen sie nicht, drehn sich um, schauen weg,
„hat sich den Job doch ausgesucht“, „kein Job ist perfekt“.

Ein Jugendlicher kann nachts nicht mehr schlafen,
ist einsam, ist träge, hat keinen Elan,
sehnt sich nach Partys, nach Reisen und Fremdgehn,
ist stattdessen isoliert, zuhause gefangn.

Steuert auf ’ne Depression zu, kommt in der Schule nicht mit,
verliert grad seine Jugend, kriegt die Zeit nie mehr zurück,
schaut in’ Abgrund, kann den Sinn nicht mehr sehn,
seine Mutter steht hilflos daneben, will ihn rebelliern sehn, nicht kapituliern.

Eine Risikopatientin geht kaum mehr raus,
hat Angst krank zu werden, bleibt lieber zuhaus‘,
steckt sich im Wartezimmer ihres Hausarztes an,
ihr Immunsystem hat keine Chance gegen den Virusstamm.

Wär‘ auf die Solidarität anderer angewiesen,
doch die sehen nur sich, sind in ihrer eignen Welt unterwegs gewesen,
„jede:r ist für sein Glück selbst verantwortlich,
Yes, „jede:r ist seines Glückes Schmid!“

Ja? Echt? Äh wart mal … was is hier eigentlich los?
Wo bin ich hier gelandet? Überall das reinste Chaos!
Überall seh’ ich Aliens, lauter Aliens um mich rum,
Oh no, oder bin ich das etwa? Bin in ich grad im Ufo angekomm’n?
Bin ich der Alien, gestrandet in ’ner andern Dimension?
Irgendwie alles so dunkel hier, eisige Kälte, Erosion,
alles so unüberwindbar hier, seh‘ nur Barriern, will hier nicht wohn‘n.

Bin lost, kenn die Regeln hier nicht, irr’ verloren herum,
lauf allein durch die Straßen, kein Plan wohin oder warum,
streif ’nen Typen am Straßenrand, bleib stehen, kann’s kaum glauben,
les’ das Schild, das er hochhält, ring’ um Fassung vor Staunen,
seh’ fett und in Großbuchstabn die Serifen da stehn:
DAS LEBEN IST HEILIG, mir kommen die Tränen,
DAS LEBEN IST HEILIG, IST UNSER HÖCHSTES GUT.
Ich geh weiter, atme durch, fasse Mut.

Maybe everything’s not lost.

Wir

Was ich will ist wichtiger als was Du willst.
Was Du willst ist wichtiger als was ich will.
Was wir wollen ist wichtiger als was Ihr wollt.

Was ich sage ist richtiger als was Du sagst.
Was Du sagst ist richtiger als was ich sage.
Was wir sagen ist richtiger als was Ihr sagt.

Was ich durchmache ist schlimmer als was Du durchmachst.
Was Du durchmachst ist schlimmer als was ich durchmache.
Was wir durchmachen ist schlimmer als was Ihr durchmacht.

Ich fühle mich eingeschränkt.
Du fühlst Dich diskriminiert.
Wir fühlen uns angegriffen.
Ihr fühlt Euch gekränkt.

Ich. Du.
Wir. Ihr.
Tiefe Gräben.
Lange Risse.
Eingestürzte Brücken.
Kein Steg, der verbindet.
Live free.
Or Die.

Is es das, was wir wollen?
Was lassen wir da zu?
Sitzen doch alle im gleichen Boot,
sind Teil derselben Crew.

Sind verbunden, verwoben, miteinander verwurzelt,
durch Werte verknotet, durch Menschlichkeit vereint,
im Geiste verwandt, unsere Seelen verquickt,
ineinander verhaftet, vom Ganzen ein Stück.

WIR ist alles was wir haben.
In this together. All of us.

Literatur:

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